Übereinstimmung und Eintracht

بسم الله الرحمن الرحيم

                                             

                                              

     

              وَاعْتَصِمُوا بِحَبْلِ اللّٰهِ جَم۪يعًا وَلَا تَفَرَّقُواۖ

      “Und haltet allesamt fest am Seil Gottes, und zersplittert euch nicht.”[1]

Ehrenwerte Musliminnen und Muslime! Unsere heutige Predigt behandelt die Bedeutung von Übereinstimmung und Eintracht.

Übereinstimmung bedeutet, dass man auf derselben Linie zusammenkommt; Eintracht wiederum bedeutet die Verinnerlichung dieser Einheit in der menschlichen Seele, dass die Menschen miteinander auskommen, dass sie in gegenseitigem Respekt und in der Umlaufbahn der Liebe zusammenleben.

Unser Prophet des Mitgefühls (F.s.m.i) richtete eines Tages drei Bitten an den Barmherzigen und Erbarmer, als er von den Schwierigkeiten seiner Gemeinschaft geplagt wurde. Er (F.s.m.i.) betete dafür, dass seine Gemeinschaft nicht mit Hunger bestraft wird, dass sie keine Massenvernichtung erleidet wie die früheren Stämme und dass sie nicht in Uneinigkeit fällt. Gott akzeptierte die ersten beiden Bittgebete des edlen Gesandten (F..s.m.i.), lehnte aber nicht aus Ihm bekannten, bestimmten Gründen das Bittgebet ab, dass seine Gemeinschaft in Uneinigkeit fallen möge.

Eine dieser Weisheiten besteht darin, die Aufmerksamkeit auf den menschlichen Willen zu lenken und zu erklären, dass Eintracht eine Frage des Willens ist. Die Menschen werden aufgefordert, ihrem Willen gerecht zu werden, um Übereinstimmung und Eintracht zu gewährleisten. Die Frage der Geschwisterlichkeit und der Einheit hat mit Vernunft, Logik und Willen zu tun und nicht mit Gefühlen. Für die Verwirklichung einer soliden Geschwisterlichkeit ist der Wille, die Entschlossenheit und die Anstrengung eines jeden erforderlich.

Damit die Gläubigen sich vereinen und lieben können, ist eine logische Geschwisterlichkeit mehr als eine emotionale Geschwisterlichkeit erforderlich. Aus diesem Grund hat der Autor der Risale-i Nur, Bediuzzaman Said Nursi, immer die logischen Aspekte und Dynamiken des Themas hervorgehoben.

Zum Beispiel sagte er: „Euer Schöpfer ist eins, euer Besitzer ist eins, euer einzig Anbetungswürdige ist eins, euer Ernährer ist eins, eins, eins… Eins, eins, eins bis tausend. Und euer Prophet ist eins, eure Religion ist eins, eure Qibla ist eins… Eins, eins, bis zu hundert, eins, eins!“ Deshalb sollte der Mensch all diese gemeinsamen Punkte in Betracht ziehen, die Notwendigkeit der Eintracht und der Geschwisterlichkeit erkennen und dann seinen Willen für deren Herstellung einsetzen. Was vom Menschen verlangt wird, ist, einige seiner inneren Reaktionen mit seinem Willen, seiner Logik und seinem Verstand zu bändigen und die Übereinstimmung freiwillig und logisch zu verwirklichen.

Außerdem wird anhand des folgenden Beispiels erklärt, dass manchmal eine kleine Streitigkeit die Tür zu einem großen Segen schließen kann:

Als sich der Stolz des Universums (F.s.m.i.) auf den Weg machte, um seine Gemeinschaft über die Zeit der Nacht der Bestimmung zu informieren, sah er, dass sich zwei Personen stritten. Ein Streit zwischen Gläubigen, so klein er auch sein mochte, verletzte ihn zutiefst. Danach sagte er (F.s.m.i.): „Ich wollte die Zeit der Nacht der Bestimmung verkünden, aber während ich mit den Streitenden beschäftigt war, wurde der Zeitpunkt der Nacht der Macht mir vergessen.“[2]

Der wichtigste Grund des Scheiterns ist die Uneinigkeit

Wenn es in einer Stadt – oder überhaupt irgendwo – zu Misserfolgen kommt, ein Fiasko erlebt wird oder das erhoffte Ergebnis sich einfach nicht einstellen will, sollte man zuerst prüfen, ob der Geist der Brüderlichkeit bewahrt werden konnte. Ob in einer Familie, einer Einrichtung, einer Gesellschaft oder gar in einem ganzen Land: Ein angespanntes Klima kann zu Verlusten führen, die anfangs kaum abzusehen sind. Deshalb darf man keinesfalls zulassen, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen Einzelpersonen, Gruppen, verschiedenen Schichten, Gemeinschaften oder sogar ganzen Völkern eskalieren; vielmehr muss ohne jeden Aufschub der Weg der Versöhnung eingeschlagen werden.

Im Bewusstsein, dass allein der erhabene Gott das Geschwisterlichkeitsgefühl wachsen lässt, darf man neben dem stetigen Flehen zu Ihm nicht vergessen, im praktischen Leben auch jene Handlungen zu setzen, die als „tätiges Gebet“ gelten können.

Auf der Ebene der gewöhnlichen, alltäglichen Mittel, die Einigkeit und Zusammenhalt fördern können, lassen sich insbesondere folgende Punkte nennen:

  • Die Vorzüge unserer Freunde dankbar hervorheben: Wenn jemand einen Erfolg erzielt, sollte man zuerst mit Gott dafür danken und sich dann über diesen Erfolg freuen und ihn würdigen, als hätte man ihn selbst errungen.

  • Diese Anerkennung sollte man der betreffenden Person direkt aussprechen oder ihr auf anderem Wege zukommen lassen. Denn als ein Gefährte einst sagte: „O Gesandter Gottes, ich liebe jenen Freund“, erwiderte der Prophet: „Geh und sag ihm, dass du ihn liebst.“

Jeder Mensch hat liebenswerte Eigenschaften. Werden diese von anderen nicht rechtzeitig bemerkt, gewürdigt und bejubelt, fühlen sich die Betroffenen verletzt. Ihre Wege werden versperrt, und sie können sich nicht entfalten.

Wenn wir die Fehler und Mängel unserer Freunde ansprechen, sollten wir darauf achten, sie nicht zu verletzen. Über unsere Geschwister hinter ihrem Rücken zu reden ist ebenfalls tabu.

Andererseits haben wir kein Recht, die Unzulänglichkeiten anderer zu be- oder verurteilen, wenn das nicht ausdrücklich unsere eigene Aufgabe ist; es steht uns nicht zu, ihre Versäumnisse herauszustellen oder sie vom rechten Weg „abbringen“ zu wollen.

In unseren Beziehungen dürfen wir weder egoistisch noch selbstsüchtig sein. Haltungen wie „Ich weiß alles am besten“ oder „Alle müssen sich nach mir richten“ untergraben Harmonie, Eintracht und Zusammenhalt. Stattdessen sollten wir nach dem Prinzip der Beratung (Schūrā) handeln. Beratung bedeutet weder Streit noch ein respektloses Kritisieren anderer.

Man darf nicht vergessen, dass wir – ebenso wie durch viele andere Umstände – auch gegeneinander auf die Probe gestellt werden. Der erhabene Gott prüft uns nicht nur durch manche Ereignisse und durch die Bosheiten der Übeltäter, sondern auch durch unsere eigenen Geschwister. Im Koran heißt es: “Auf diese Weise führen Wir die einen von ihnen durch die anderen in Versuchung[…]”[3]

Nimmt der Mensch von vornherein an, dass er sich in einer Prüfung befindet, verwandeln sich die hässlich anmutenden Zusammenstöße, die er erlebt, in Ereignisse, die sein Herz weiten. Dafür braucht es lediglich ein wenig aktive Geduld.

Darüber hinaus ist es von größter Bedeutung, stets den Grundsatz der „Achtung vor dem Menschen“ hochzuhalten und die Herzen fröhlich zu stimmen; unterschiedliche Meinungen respektvoll anzunehmen und jede Gelegenheit mit einem Lächeln zu erhellen; allen mit mütterlicher Fürsorge zu begegnen, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Sodann gilt es, eine universelle Sprache zu entwickeln, mit der wir Menschen einander näherbringen, Brücken zwischen Völkern schlagen, zwischen denen tiefe Gräben klaffen, und auf der Erde „Friedensinseln“ entstehen lassen.

Ehrenwerte Geschwister!

Einigkeit und Zusammenhalt sind eine überaus wichtige Einladung, durch die Gott den Gläubigen Erfolg verleiht. Sie stellen – um Seinen Beistand zu erlangen – eine Bittschrift dar, die weit umfassender ist als das tägliche Durchlesen ganzer Bittgebet-Sammlungen. Darum sollten wir diese von Gott verliehene Quelle des Erfolgs nicht nur in unserem eigenen Kreis, sondern auch im Hinblick auf die Gesellschaften, zu denen wir gehören, bedenken.

So wie Hauptgebetegebete, Fasten und Pflichtgaben Quellen der jenseitigen Belohnungen sind, ist es ebenfalls Belohnenswert, der Spaltung den Krieg zu erklären und sich um Einvernehmen, Versöhnung sowie ein Leben in Einheit und Geschwisterlichkeit zu bemühen. Wenn ein Mensch einzig um der Eintracht willen selbst widerstrebende Dinge überwindet, Unannehmlichkeiten erträgt wie eine Prüfung und beharrlich „Einheit um jeden Preis!“ sagt, erwirbt er damit Verdienste, die dem Dank für empfangene Gnaden oder der geduldigen Standhaftigkeit angesichts von Gottesdienst, Prüfungen und Sünden gleichen.

Der ehrwürdige Ibrāhīm ibn Adham sagte: „Die Tat, die am Jüngsten Tag auf der Waage am schwersten wiegt, ist die, die dem Menschen in dieser Welt am schwersten fällt.“

Ein kluger Mensch ist jemand, der, wenn seine Beziehungen zu anderen beschädigt sind, die Unzufriedenheit rasch beseitigt und die Freundschaft erneuert. Noch klüger ist, wer so umsichtig handelt, dass er erst gar nicht in Zwietracht mit seinen Freunden gerät.

Menschen, die in Eintracht und Geschlossenheit zu einem einzigen Körper geworden sind, werden stets Ruhe und inneren Frieden verspüren; wenn sie in Bedrängnis geraten, eilt ihnen göttliche Hilfe sofort zu, und der Erhabene Herr lenkt sie immer hin zum Guten, Schönen und Richtigen.

Möge unser Herr uns gewähren, im Sinne des Wortes in Harmonie und Eintracht zu leben. Amin!


[1] Sure Āl ʿImrān 3:103.

[2] Bukhārī, leyletu’l-qadr, 4.

[3] Sūre Al-An’ām, 6:53

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