Mitgefühl gegenüber den Geschöpfen

بسم الله الرحمن الرحيم

                                  وَمَا اَرْسَلْنَاكَ اِلَّا رَحْمَةً لِلْعَالَمينَ

„Wir haben dich (o Muhammed) nur als unvergleichliche Barmherzigkeit für alle Welten entsandt.“[1]

            اَلرَّاحِمُونَ يَرْحَمُهُمُ الرَّحْمَنُ، اِرْحَمُوا مَنْ فِي الأَرْضِ يَرْحَمْكُمْ مَنْ فِي السَّمَاءِ 

In einer Überlieferung unseres Propheten (F.s.m.i.) heißt es: „Diejenigen, die zueinander barmherzig sind, zu denen ist auch der Barmherzige barmherzig. Daher seid barmherzig zu den Erdbewohnern, damit die Bewohner des Himmels barmherzig zu euch sind.“[2]

Ehrenwehrte Musliminnen und Muslime! Unsere heutige Predigt handelt von Mitgefühl, Sanftmut und Barmherzigkeit gegenüber den Geschöpfen.

Mitgefühl bedeutet, in Anbetracht der Tatsache, dass alle Wesen ein Kunstwerk des erhabenen Schöpfers sind, Interesse und Mitgefühl für alle und alles zu empfinden, sich mit den Sorgen anderer zu identifizieren, ihnen zu Hilfe zu eilen, bedingungslose Liebe zu empfinden und sich mit der Aufrichtigkeit einer Mutter um sie zu kümmern. Sie ist eine besondere Manifestation göttlicher Tugend, die Stimme und der Atem derer im Himmel und ein besonderer Ausdruck des warmen Atems aller Mütter.

Die Probleme der Menschen in dieser vergänglichen Welt zu lösen, stellt nur einen Teil des Mitgefühls dar. Das eigentliche und reife Mitgefühl besteht darin, die Menschen vor der ewigen Strafe zu befreien und ihnen den Weg zur Glückseligkeit zu zeigen.

Der Islam lehrt den Gläubigen Respekt vor den Geschöpfen und den Respekt vor dem Leben. Denn jeder Muslim glaubt, dass „die sieben Himmel und die Erde und wer auch immer in ihnen ist“ Gott preisen.[3]

Da der Prophet (F.s.m.i.) als Barmherzigkeit für alle Welten gesandt wurde, war er auch barmherzig und mitfühlend gegenüber allen Lebewesen. Dies ist seine gesegnete natürliche Tugend, wie auch der Sinn seiner Gesandtschaft.

Der Prophet (F.s.m.i.) sagte:

اللَّهَ رَفِيقٌ يُحِبُّ الرِّفْقَ فِي الْأَمْرِ كُلِّهِ 

Also: „Gott ist sanftmütig und liebt das Sanftmütige in allen Angelegenheiten“. In einer anderen Überlieferung sagte er (F.s.m.i.) auch: „Seid barmherzig gegenüber den Bewohnern der Erde, damit die im Himmel barmherzig gegenüber euch sind.“[4] Das bedeutet, je nachdem wie barmherzig und sanftmütig ein Mensch ist, wird er seinen Stellenwert bei Gott einnehmen, und der Mensch wird die gleiche Behandlung von Gott erfahren. Auch erwähnt der gesegnete Prophet: „Wer die Älteren nicht respektiert und nicht sanftmütig zu den Jüngeren ist, gehört nicht zu uns.“[5]

Er (F.s.m.i.) weinte manchmal mit einem Kind zusammen, das er weinen gesehen hatte, oder spürte die Qualen einer Mutter in seinem Gewissen. So wird folgendes über den Propheten (F.s.m.i.) überliefert: „Wenn ich mit dem Hauptgebet beginne, wünsche ich mir, das Gebet lange zu verrichten. Dann höre ich ein Kind weinen. Da ich mir in dem Moment die Aufregung der Mutter vorstelle, bete ich schnell und beende das Hauptgebet zügig.“[6] Zudem teilte er (F.s.m.i.) mit, dass jede Art von Gutem oder Schlechtem, das den Lebewesen angetan wird, eine Konsequenz hat, und überließ diese Angelegenheit nicht einfach dem Gewissen der Menschen.

Eines Tages erzählte er (F.s.m.i.) seinen Gefährten von einem durstigen Mann, der, nachdem er seinen eigenen Durst gestillt hatte, Mitgefühl zeigte und sich bemühte, den Durst eines verdursteten Hundes zu stillen, und fügte hinzu, dass Gott zufrieden mit dieser Tat war und ihm vergeben hat. Daraufhin fragten die Gefährten: „Oh Gesandter Gottes! Gibt es für uns auch Belohnungen für unsere Wohltaten gegenüber den Tieren?“, antwortete er: „Es gibt Belohnungen für Wohltaten gegenüber allen Lebewesen.“[7]

Unser Prophet (F.s.m.i.) sagte auch: „Wenn ein Muslim einen Baum pflanzt und Menschen, Tiere oder Vögel davon essen, so wird das, was davon gegessen wird, bis zum Jüngsten Tag als Almosen für diesen Muslim gewertet.“[8] Damit ermutigte er zum Bäume pflanzen und wies dabei besonders auf den jenseitigen Lohn hin, der durch die Tiere entsteht, die Nutzen daraus ziehen.

Der Gesandte Gottes (F.s.m.i.) verbot es, Tiere durch Hunger und Durst zu quälen. Nicht nur das, er billigte es nicht einmal, Tiere zu beschimpfen oder zu beleidigen. Auf einer Reise hörte er, wie ein Mann sein Kamel verfluchte. Sofort befahl er, die Last vom Kamel zu nehmen, und untersagte dem Mann, auf ihm zu reiten.[9]

Auf einer anderen Reise entdeckten einige Leute ein Vogelnest mit zwei Jungvögeln und nahmen sie an sich. Die Mutter flog aufgeregt umher und flatterte panisch. Als der Gesandte Gottes (F.s.m.i.) das bemerkte, sagte er: „Wer hat diesem armen Tier seinen Jungen genommen und ihm Leid zugefügt? Gebt sie sofort zurück!“[10] Bei einem Feldzug mit seiner Armee sah er eine Hündin, die ihre Jungen stillte. Er rief Djuʿāl ibn Ṣurāqa (Gott habe Wohlgefallen an ihm) zu sich und beauftragte ihn, bei der Hündin wache zu halten, damit sie und ihre Jungen nicht erschreckt würden. Er warnte die Armee ausdrücklich davor, sie zu stören.[11]

Auf dem Weg zur Abschiedspilgerfahrt bemerkte der Gesandte Gottes (F.s.m.i.) eine verletzte, schlafende Gazelle. Er beauftragte Ebū Bekr (Gott habe Wohlgefallen an ihm), bei ihr wache zu halten, bis der Pilgerzug mit zehntausenden Menschen vorübergezogen war, und wies ihn an, niemandem zu erlauben, das verletzte Tier zu stören.[12]

Verehrte Musliminnen und Muslime!

Mitgefühl ist eine lichtvolle Rampe, die den Menschen vertikal zu Gott erhebt, und gehört zu den Grundpfeilern unseres Weges. Nach „Machtlosigkeit“, „Bedürftigkeit“, „Begeisterung“ und „Dankbarkeit“ folgen „Kontemplation“ und „Mitgefühl“. Diese sechs Begriffe sind die tragenden Säulen des Dienstes im Namen des Glaubens und des Koran. Wir suchen Zuflucht bei Gott davor, selbst auf eine Ameise zu treten!

Der Lehrmeister Fethullah Gülen sagte: „In meinem ganzen Leben bin ich noch nie bewusst auf eine Ameise getreten. Ich erinnere mich, wie ich eine halbe Stunde lang geweint habe, als eine Biene in meinem Zimmer starb.“

Eines der herausragenden Merkmale von Menschen, die leben, um anderen das Leben zu ermöglichen, ist ihr Mitgefühl gegenüber den Geschöpfen – und auf höchstem Niveau: dem Menschen. Der Glaube des Menschen steht in direktem Verhältnis zu seinem Mitgefühl gegenüber den Geschöpfen. Ja, selbst gegenüber leblosen Dingen sollte man im Sinne eines ökologischen Bewusstseins mit Mitgefühl, Sanftheit und Umsicht herantreten. Man sollte einen Baum, einen Grashalm, eine Ameise mit eben dieser Barmherzigkeit lieben und gleichzeitig unsere Achtung gegenüber menschlichen Werten und unser Mitgefühl für die Schöpfung steigern. Tyrannen, die sich von jeher die Grausamkeit zur Lebensphilosophie gemacht haben und sagen: „Wenn du Mitleid zeigst, wirst du selbst bemitleidenswert“, haben sowohl sich selbst als auch den Geschöpfen Unrecht getan. Im Gegensatz zu ihnen haben stets die Helden der Barmherzigkeit und des Mitgefühls gesiegt. Wie glücklich sind jene, die sagen: „Ich liebe das Geschöpf um des Schöpfers willen“, und alle und alles mit Barmherzigkeit umarmen. Frohe Botschaft denen, die einander Geduld und Mitgefühl lehren und selbst zu Vorbildern dieser Tugenden geworden sind.


[1] Sure el-ʾEnbiyāʾ 21:107.

[2] Ebū Dāwud, Edeb 58.

[3] Sure el-ʾIsrā 17:44.

[4] Ebū Dāwud, Edeb 58.

[5] Tirmiḍī, 15.

[6] Buchārī, Eḍān 65.

[7] Buchārī, Schurb 9.

[8] Muslim, Musāqāt 2.

[9] Ebū Dāwud, Djihād 50.

[10] Ebū Dāwud, Djihād 112.

[11] Wāqidī, Meǧāzī 2/244.

[12] Nesāʾī, Menāsik 78.

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