Gegenseitige Beratung/ Kollektives Gedankengut

بسم الله الرحمن  الرحيم

       وَالَّذ۪ينَ اسْتَجَابُوا لِرَبِّهِمْ وَاَقَامُوا الصَّلٰوةَۖ وَاَمْرُهُمْ شُورٰى بَيْنَهُمْۖ وَمِمَّا رَزَقْنَاهُمْ يُنْفِقُونَۚ

„Und diejenigen, die dem Aufruf ihres Herrn Folge leisten und Ihm gehorchen (in Seinen Geboten und Verboten) und das Gebet entsprechend seinen Vorschriften verrichten und die ihre Angelegenheiten in gegenseitiger Beratung regeln und die von dem hingeben, womit Wir sie versorgt haben (um für den Unterhalt Bedürftiger zu sorgen, und für Gottes Sache);“[1]

In einer Überlieferung unseres Propheten (F.s.m.i) heißt es:

مَا نَدِمَ مَنِ اسْتَشَارَ

Wer sich beraten lässt, bereut es nicht. [2]

Ehrenwerte Musliminnen und Muslime! Unsere heutige Predigt handelt davon, wie wichtig die gegenseitige Beratung ist und welche Rolle sie in unsere Religion hat.

Die gegenseitige Beratung ist, dass bevor Entscheidungen innerhalb einer Thematik getroffen werden, untereinander diskutiert wird, in dem jeder seine Idee oder Gedanken miteinbringt, letztendlich einigt man sich auf die beste Idee bzw. den besten Vorschlag.

Die gegenseitige Beratung ist eine Art von Idjtihād. Deren Inhalte sind also Themen, die nicht offenkundig im Koran oder den Hadithen angesprochen werden. Die Gemeinschaft, die zusammenkommt und über ein Thema diskutiert, wird Schūrā bzw. Beratung genannt.

Wie im Vers, der am Anfang der Predigt rezitiert wurde, zu sehen ist, wird das kollektive Gedankengut mit dem Hauptgebet und den Almosen auf einer Linie erwähnt.

Nach dem Koran ist die gegenseitige Beratung das deutlichste Kennzeichen einer gläubigenGemeinschaft und das wichtigste Merkmal einer Gemeinde, die sich dem Islam von Herzen verschrieben hat. In diesem Sinne gilt: Eine Gemeinschaft, die der Beratung keine Bedeutung beimisst, kann nicht als wahrhaft gläubig, und eine, die sie nicht praktiziert, nicht als vollkommen muslimisch angesehen werden.

Auch die Koranverse, die nach der großen Erschütterung im Verteidigungskrieg von Uhud offenbart wurden, enthalten die göttliche Anweisung an den Gesandten Gottes (F.s.m.i): „… Kehre zu ihnen zurück und berate dich erneut mit ihnen.“ [3]

Das zeigt, dass selbst in den schwierigsten Zeiten die beste Lösung in der gegenseitigen Beratung liegt. Derjenige, der dem Gebot der Beratung im Koran am meisten Folge leistete, war zweifellos der Gesandte Gottes (F.s.m.i). In diesem Zusammenhang berichtet Ebū Hurayra (Gottes Wohlgefallen mit ihm): „Ich habe niemanden gesehen, der sich so häufig mit seinen Gefährten beriet wie der Gesandte Gottes (F.s.m.i).“[4]

Der Prophet (F.s.m.i) pflegte sowohl in Mekka als auch in Medina, bei Angelegenheiten, über die keine Offenbarung herabgesandt wurde, mit seinen Gefährten zu beraten und empfahl auch ihnen, so zu handeln. Dadurch nutzte er (F.s.m.i) die Gedanken anderer, machte sie zu einem Teil der Lösung und lehrte zugleich alle um ihn herum, in ihren Angelegenheiten die Beratung nicht zu vernachlässigen.

Wenn man den Koran in seiner Gesamtheit betrachtet, wird deutlich, dass die Beratung mit kompetenten Personen und das Handeln nach gemeinsamen Gedankengut in allen Lebensbereichen empfohlen wird. Um auszudrücken, dass es nicht richtig ist, hastig zu handeln und sich nur auf den eigenen Verstand zu verlassen, sagt der Koran:


وَفَوْقَ كُلِّ ذِي عِلْمٍ عَلِيمٌ


„Über jedem Wissenden ist einer, der mehr weiß.“[5]

Damit wird geboten, auf die Meinungen von Fachkundigen zurückzugreifen. Ebenso wird erinnert:


فَاسْأَلُوا أَهْلَ الذِّكْرِ إِنْ كُنْتُمْ لَا تَعْلَمُونَ

„Wenn ihr es nicht wisst, dann fragt diejenigen, die Wissen haben.“[6]


So wird auch darauf hingewiesen, dass man selbst bei Nachrichten, die die Sicherheit der Gesellschaft betreffen, die Hintergründe prüfen und sich mit sachkundigen Experten beraten soll. So wird es in einem anderen Vers verdeutlicht: „Wenn sie eine Nachricht über Sicherheit oder Angst erreicht, verbreiten sie sie sofort, ohne zu prüfen, ob sie wahr ist oder ob es ratsam ist, sie zu verbreiten. Wenn sie diese Nachricht dem Propheten und den Verantwortlichen unter ihnen vorgelegt hätten, dann hätten diejenigen, die die Angelegenheit gründlich untersuchen können, die Wahrheit erkannt. Wäre nicht Gottes Huld und Barmherzigkeit über euch, so hättet ihr – bis auf wenige – dem Satan gefolgt.“[7]

Der Prophet (F.s.m.i.) rief zur Beratung auf und beschrieb den Frieden sowie die Glückseligkeit, die dadurch in der Gemeinschaft entstehen:

„Wenn eure Führer die Besten unter euch sind, eure Reichen freigiebig sind und eure Angelegenheiten durch Beratung geführt werden, dann ist das Leben auf der Erde besser für euch als unter ihr.“[8]

„Wer sich berät, bleibt nicht vom Richtigen fern, und wer die Beratung unterlässt, gerät in die Irre.“[9]

„Wer sich berät, ist in Sicherheit.“[10]

„Es gibt keine Gemeinschaft, die sich berät und dabei nicht zu einem richtigen Ergebnis gelangt.“

„Wenn einer von euch seinen Bruder um Rat fragt, dann soll dieser ihm seine Meinung mitteilen und ihm den Weg zeigen.“[11]

Solche Überlieferungen sind wie unzählige kostbare Perlen.

Im Islam ist die Beratung ein lebenswichtiges Prinzip, das sowohl für die Regierenden als auch für die Regierten verbindlich ist. Der Vorsteher ist verpflichtet, in Angelegenheiten, die Verwaltung und Gesellschaft betreffen, Rat einzuholen; die Regierten wiederum sind verpflichtet, ihre Ansichten und Gedanken den Regierenden mitzuteilen.

Wo es nicht möglich ist, ein ganzes Volk zusammenzubringen und mit allen zugleich zu beraten, findet die Beratung in einem begrenzten Kreis statt. Wenn sich fähige Personen zur Beratung versammelt und eine Aufgabenverteilung zu einem bestimmten Thema vorgenommen haben, besteht die Aufgabe der anderen darin, zu beraten, wie das festgelegte Ziel erreicht werden kann.

Im Islam sind Fragen, über die es einen eindeutigen Koranvers oder eine Überlieferung des Propheten (F.s.m.i) gibt, der menschlichen Einmischung entzogen. Angelegenheiten, über die es keine Überlieferung oder einen Koranvers gibt, fallen vollständig in den Bereich der Beratung. Zu den Ergebnissen und Beschlüssen, die in solchen Fragen durch Beratung erzielt werden, besteht ebenso eine Verpflichtung zur Befolgung wie bei Koranversen oder Überlieferungen. Sollte sich trotz der Mehrheit eine falsche Entscheidung ergeben, muss auch sie wiederum durch Beratung korrigiert werden.

Der Gesandte Gottes (F.s.m.i) hat seine persönlichen, familiären und administrativen Angelegenheiten ohne Unterschied zwischen Männern und Frauen mit den zuständigen und kompetenten Personen besprochen. Daher sind bei der Beratung nicht das Geschlecht und der Rang der Personen wichtig, sondern die Eignung und die Kompetenz sind entscheidend.

Über die Etikette der Beratung wird folgendes gesagt: Beratung bedeutet nicht Streit oder gegenseitige Kritik. Gedanken sollten mit sanften Worten geäußert werden. Eigene Ansichten dürfen anderen nicht aufgedrängt werden. Man sollte nicht mit der Einstellung auftreten, nur die eigene Sicht sei richtig und alles andere falsch. Bei Hinweisen auf Fehler gilt es, den anderen nicht zu verletzen.

Ein wichtiger Aspekt der Beratung ist das Zuhören. Wer nicht zuhören kann, kann keine Beratung durchführen. Der Gesandte Gottes (F.s.m.i) pflegte, sich seinem Gesprächspartner mit seinem ganzen Körper zuzuwenden und ihm aufmerksam zuzuhören.

Ein weiterer wesentlicher Punkt in der Beratung ist das Verstehen. Nur diejenigen, die sich wirklich um Verständnis bemühen, können verstehen. Psychologen sagen: Wer mit einer verteidigenden Haltung zuhört, kann nicht wirklich verstehen. Wer nur zuhört, um sofort zu antworten, kann weder richtig zuhören noch sich beraten.

In der Beratung werden Probleme nicht allein mit dem Verstand gelöst. Liebe, Mitgefühl und Brüderlichkeit, die aus dem Herzen kommen, müssen hinzukommen, sodass Verstand und Herz zusammenwirken. Erst dann kann in der Beratung eine Lösung gefunden werden.

Der Schlüssel zum Heil im individuellen, familiären und gesellschaftlichen Leben ist die Beratung. Menschen, die diese Sunna in ihrem Leben verankern, können durch die Atmosphäre von Einheit, Zusammenhalt, Vertrauen und Liebe, die sie schaffen, die Orte, an denen sie leben, in Paradiese verwandeln.

Möge unser Herr uns die Gnade schenken, jeden Ort, an dem wir uns befinden, durch Beratung zu einer Ecke des Paradieses zu machen. Amin!


[1] Sure Esch- Schūrā 42:38

[2] Eṭ Ṭaberānī, 2/175

[3] Āl ʿImrān, 3:159

[4] Tirmidhī, Djihād, 34

[5] Sure Yūsuf 12: 76

[6] Sure en Neḥl 16: 43

[7] Sure en Nisā 4: 83

[8] Tirmidhī, Fiten, 78

[9]  Es Suyūṭī , ed Duru el Menthūr , Bd. 2, S. 359

[10] Ebū Dāwūd, Edeb, 114

[11] Ibn Mādjā, Edeb, 37

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